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Grundlagen der Versicherungswirtschaft
Grundlagen der Versicherungswirtschaft
Inhaltsverzeichnis 1
1 Gliederung der Versicherungswirtschaft 3
1.1 Sozial- und Individualversicherung 3
1.1.1 Entstehung des Versicherungsverhältnisses 3
1.1.2 Bemessung des Beitrages 3
1.1.3 Versicherbarkeit von Risiken 3
1.2 Sozialversicherungssparten 4
1.2.1 Gesetzliche Krankenversicherung 4
1.2.2 Pflegeversicherung 4
1.2.3 Rentenversicherung 5
1.2.4 Unfallversicherung 5
1.2.5 Arbeitslosenversicherung] 6
1.3 Einteilung der Individualversicherung 6
1.3.1 Einteilung nach dem Gegenstand der Versicherung 6
1.3.2 Einteilung nach der angewandten Versicherungstechnik 8
2 Aufgaben und Bedeutung der Versicherungswirtschaft 9
3 Rechtliche Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag 11
3.1 Rechtliche Grundlagen des Versicherungsvertrages 11
3.2 Das Widerrufsrecht15
3.3 Billigungsklausel 13
3.4 Gebündelte und kombinierte (verbundene) Versicherung 15
4 Arten des Versicherungsbeginns 16
4.1 Vorbemerkung 21
4.2 Der formelle Versicherungsbeginn 16
4.3 Der technische Versicherungsbeginn 16
4.4 Der materielle Versicherungsbeginn 17
4.5 Sonderfälle 17
4.5.1 Die „erweiterte Einlösungsklausel“ 17
4.5.2 Rückwärtsversicherung (§ 2 VVG) 18
4.5.3 Vorläufige Deckungszusage (§ 49 ff. VVG) 19
4.5.4[ Rückdatierung 19
5 Die Prämie (Beitrag) 20
5.1 Kennzeichnung der Prämie 20
5.2 Arten der Prämie 20
5.3 Nichtzahlung der Erstprämie (§ 37 VVG) 21
5.4 Nichtzahlung der Folgeprämie (§ 38 VVG) 22
Anhang 24
1 Gliederung der Versicherungswirtschaft
1.1 Sozial- und Individualversicherung
Die Versicherungswirtschaft lässt sich in die beiden großen Bereiche gesetzliche Sozialversicherung und Privatversicherung unterteilen. Statt von der Privatversicherung spricht man auch von der Individualversicherung; das werden auch wir tun. Der Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen soll nun anhand eines Beispiels aus der Praxis und anschließend mittels dreier Kriterien verdeutlicht werden.
Wenn der Verkäufer Konstantin Weißbach und der Rechtsanwalt Marcel Much zur Behandlung eines fiebrigen Infektes einen Arzt aufsuchen, ergibt sich u. a. für die „Bezahlung“ der ärztlichen Hilfe ein Unterschied: Während nämlich Konstantin Weißbach nach Aushändigung seiner Versichertenkarte an den Arzt keine Zahlungen leisten muss, erhält der Rechtsanwalt nach erfolgter Behandlung eine Rechnung, die er bezahlen muss und seiner Krankenversicherungsgesellschaft zur Erstattung vorlegt. Konstantin Weißbach ist nämlich sozialversichert, Marcel Much privat krankenversichert.
1.1.1 Entstehung des Versicherungsverhältnisses
Jeder, der eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnimmt (die meisten Arbeitnehmer), ist obligatorisch (zwingend) gegen bestimmte Risiken versichert. So bestimmt es das Gesetz (Sozialgesetzbuch). Näheres nachfolgend.
Wer dagegen eine andere Tätigkeit ausübt und/oder für andere Risiken Versicherungsschutz nachsucht, kann das nur im Wege einer privaten vertraglichen Vereinbarung erreichen.
Das Versicherungsverhältnis entsteht also
- in der Sozialversicherung grundsätzlich kraft Gesetzes,
- in der Individualversicherung kraft Vertrages, auch wenn eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Versicherung besteht (z. B. Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung oder Krankenversicherung).
1.1.2 Bemessung des Beitrages
In der gesetzlichen Sozialversicherung ist die Höhe des Einkommens (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) und der Beitragssatz maßgebend für die Höhe des Beitrages (Solidaritätsprinzip). Keine Rolle spielen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) z. B. die Zahl der mitzuversichernden Kinder oder eventuelle Krankheiten.
In der Individualversicherung bestimmt sich die Höhe des Beitrages in der Regel nach der Höhe des jeweiligen Risikos und dem vereinbarten Leistungsumfang, d. h., dass z. B. Vorerkrankungen und bestimmte Leistungen in der privaten Krankenversicherung (PKV) zu einer Erhöhung des Beitrages führen können. Darüber hinaus wird für jede zu versichernde Person (Ehepartner, Kinder) der Beitrag gesondert berechnet. Keine Rolle spielt die Höhe des Einkommens.
1.1.3 Versicherbarkeit von Risiken
In der Sozialversicherung sind nur versichert: Krankheit, Pflegerisiko, Arbeitsunfall/Invalidität, Alters- und Hinterbliebenenversorgung sowie Arbeitslosigkeit (sog. Leistungsbausteine) im Rahmen der Kranken-, Pflege-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Dazu nachfolgend Näheres.
In der Individualversicherung sind grundsätzlich alle Risiken versicherbar.
In den nachfolgenden Ausführungen werden einige wesentliche Aspekte der Sozialversicherung betrachtet, ehe danach vertieft auf die Individualversicherung eingegangen wird.
1.2 Sozialversicherungssparten
Abb. 1.1: Die fünf Säulen der deutschen Sozialversicherung
1.2.1[Gesetzliche Krankenversicherung
Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Nr. V hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wieder herzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern.
In Deutschland muss jeder eine Krankversicherung nachweisen. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unterscheidet man zwischen Pflichtversicherten (z. B. alle Arbeiter und Angestellten), freiwillig Versicherten (z. B. Existenzgründer/Selbstständige, die zuvor pflichtversichert waren) und Familienversicherte (Ehegatten, Lebenspartner, Kinder sind über das Pflichtmitglied der Familie beitragsfrei mitversichert). Versicherungsfrei sind Beamte, geringfügig Beschäftigte (bis 450 Euro mtl.), Studenten und Berufssoldaten.
Die Beitragssätze sind wie bereits erwähnt einheitlich ohne Beachtung von Alter, Familienstand und persönlichem Risiko. Die Beitragsbemessungsgrenze ist einkommensabhängig (bis zur Höchstgrenze). Die daraus ermittelten Beiträge werden vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte entrichtet (und an die zuständige Krankenkasse abgeführt).
In der GKV gilt das Sachleistungsprinzip. Durch entsprechende Verträge mit den Interessenvertretungen der Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker etc. wird die notwendige Heilbehandlung der Versicherten und ihre Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln gegen Vorlage der Versichertenkarte (ohne direkte Bezahlung) sichergestellt.
1.2.2 Pflegeversicherung
Die gesetzliche Pflegeversicherung soll (wie die private Pflegeversicherung, die Privatversicherte abschließen müssen, das Pflegebedürftigkeitsrisiko abdecken. Pflegebedürftig ist (vereinfach formuliert), wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die täglichen Verrichtungen auf Dauer auf Hilfe angewiesen ist.
Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit wird von Ärzten am Grad der (verbliebenen) Selbstständigkeit gemessen und in fünf Pflegegrade unterteilt.
Beiträge: Da die Pflegeversicherung an die Krankenversicherung gekoppelt ist, gelten die gleichen Beitragshöchstgrenzen (aber deutlich niedrigere Beitragssätze). Die Beitragssätze orientieren sich am Bedarf der Versicherungsträger und an den regelmäßig erweiterten Leistungen (z. B. Demenzerkrankungen). Die Beiträge werden – wie bei der Krankenversicherung – vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte entrichtet (Ausnahmen für Kinderlose und Rentner).
Zu den bezuschussten Leistungen, die je nach Pflegegrad in der Höhe gestaffelt sind, zählen Verrichtungen der (häuslichen) Pflegekräfte wie Körperpflege, Ernährung, An- und Auskleiden, Verlassen der Wohnung, hauswirtschaftliche Versorgung u. a. m. Hinzu kommen Zuschüsse und bei Bedarf Sachleistungen und/oder Pflegegelder bei ambulanter, teilstationärer und vollstationärer Pflege und Kurzzeitpflege.
1.2.3 Rentenversicherung
Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) soll für alle berechtigten Bürger Deutschlands eine Grundversorgung sicherstellen. Einnahmequellen sind die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten und der Arbeitgeber (sowie ein Bundeszuschuss zur Füllung der Bedarfslücke). Diese finanzieren mit ihren Beiträgen die aktuellen Rentenzahlungen (Generationenvertrag). Durch die demografische Entwicklung (höhere Lebenserwartung und damit steigende Zahl der Leistungsempfänger und Rentenbezugsdauer) und weitere Faktoren (z. B. versicherungsfremde Leistungen) kann die zukünftige Finanzierung durch eine Umlagefinanzierung nach dem heutigen System für die GRV problematisch werden (auf jeden Werktätigen kommen immer mehr Rentner).
Wie bei der GKV unterscheidet man auch in der GRV Pflichtversicherte (z. B. Arbeitnehmer, bestimmte Selbstständige wie Handwerker, Künstler und Hebammen), freiwillig Versicherte, Pflichtversicherte auf Antrag (z. B. Selbstständige) sowie versicherungsfreie Personen wie Beamte, Berufssoldaten, geringfügig Beschäftigte und Rentner/Pensionäre.
Beiträge: Ansatzpunkt ist grundsätzlich das Bruttoeinkommen (Ausnahmen), das mit dem Beitragssatz multipliziert wird. Liegt dieser Monatsbeitrag über der Beitragsbemessungsgrundlage, ist dafür kein Betrag zu entrichten (was zur sog. Versorgungslücke im Alter führen kann). Die Beiträge sind je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu entrichten.
Die wichtigsten Leistungen der GRV sind die Rentenzahlungen. Hierbei unterscheidet man Renten wegen Alters (Regelaltersrente nach fünf Jahren Wartezeit ab 67. Lebensjahr), Renten wg. verminderter Erwerbsfähigkeit (zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen) und Renten wg. Todes (Witwen-, Waisen- und Erziehungsrenten). Auf Beitragszeiten wie Kindererziehungszeiten und Pflegetätigkeit sowie beitragsfreie Anrechnungs-/Ersatzzeiten soll hier nicht eingegangen werden.
1.2.4 Unfallversicherung
Schwerpunkt der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) ist der Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitsunfällen und deren Folgen (inkl. Berufskrankheiten) sowie die Unfallversicherung von Kindern, Schülern und Studenten. Das umschreibt gleichzeitig den Kreis der wichtigsten Pflichtversicherten.
Beiträge: Sofern der Träger der GUV eine gewerbliche Berufsgenossenschaft ist, in der der Arbeitgeber pflichtversichert ist, erfolgt die Beitragszahlung alleine durch den Unternehmer für alle im Betrieb Beschäftigten.
Bei Eintritt des Versicherungsfalls (Arbeitsunfall) kommt die GUV für ambulante oder stationäre Heilbehandlung, berufliche Rehabilitation und Berufsförderung (Wiedereingliederung) sowie für Renten wegen Erwerbsminderung und für Hinterbliebene und Sterbegeld auf.
1.2.5 Arbeitslosenversicherung
Träger der Arbeitslosenversicherung ist die Bundesagentur für Arbeit. Zu den wichtigsten Aufgaben der Arbeitslosenversicherung zählen die Auszahlung von Arbeitslosengeld, die Arbeitsvermittlung und Berufsberatung sowie weitere Fördermaßnahmen. Durch Letztere sollen die Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie der Bezug von Arbeitslosengeld vermieden bzw. verkürzt und der Arbeitsmarkt unterstützt werden.
Die Beitragspflicht beginnt und endet mit einem Arbeitsverhältnis bzw. Eintritt der Beitragsfreiheit. Demnach sind alle krankenversicherungspflichtigen Personen und auch solche, die wegen Überschreitung der Jahresverdienstgrenze von der Krankenversicherungspflicht ausgenommen sind, pflichtversichert. Beitragsfrei sind grundsätzlich Beamte, Soldaten und geringfügig Beschäftigte.
Anspruch auf Arbeitslosengeld hat derjenige, der arbeitslos ist, beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet ist (Achtung Sperrzeiten bei verspäteter Meldung) und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, Arbeitslosengeld beantragt hat und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Das Arbeitslosengeld beträgt 60 % des (pauschalierten) Nettoarbeitsentgelts, mit Kind 67 % und kann von sechs Monaten bis zu 24 Monaten beansprucht werden (altersabhängig). Arbeitslosengeld II erhalten bedürftige Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben oder deren Einnahmen unter dem Sozialhilfesatz liegen (Regel- und Zusatzleistungen).
Weitere Leistungen sind wie erwähnt die Arbeitsvermittlung und Berufsberatung, Arbeitslosengeld bei Fort- und Weiterbildung, Insolvenz- und Kurzarbeitergeld sowie ein Gründungszuschuss bei Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit.
1.3 Einteilung der Individualversicherung
Wir wollen von mehreren Einteilungsmöglichkeiten zwei herausgreifen, nämlich die Einteilung
- nach dem Gegenstand der Versicherung,
- nach der angewandten Versicherungstechnik.
1.3.1 Einteilung nach dem Gegenstand der Versicherung
Wie wir in unserem Beispiel erfahren haben, legt Rechtsanwalt Marcel Much die Arztrechnung seinem Krankenversicherer zur Erstattung vor. Um für sein Alter vorzusorgen, hat er auch einen entsprechenden Lebensversicherungsvertrag; außerdem besitzt er Verträge über eine Hausratversicherung, eine Haftpflichtversicherung und eine Unfallversicherung. Ebenso wie Marcel Much haben viele Tausende anderer Menschen Versicherungsverträge abgeschlossen.
Eine nähere Betrachtung dieser Fälle zeigt, dass zum einen Personen Gegenstand der Versicherung sind (z. B. Krankenversicherung). Andererseits sind Sachen Gegenstand der Versicherung, wie bei der Hausratversicherung. Schließlich kann auch das Vermögen zum Versicherungsgegenstand gemacht werden; typisches Beispiel hierfür ist die Haftpflichtversicherung. Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen kann man die Individualversicherung wie folgt einteilen:
Sachversicherung |
|
Personenversicherung |
] |
Vermögensversicherung |
Die vielleicht viele von Ihnen interessierende Kraftfahrtversicherung gehört allen drei Bereichen (mit dem Schwerpunkt in der Vermögensversicherung) an, je nachdem, was in Deckung gegeben wird (= was Gegenstand der Versicherung ist):
- Sie ist Sachversicherung, soweit es um das Fahrzeug geht: Kaskoversicherung.
- Sie ist Personenversicherung, soweit es um die Insassen geht: Insassenunfallversicherung.
- Sie ist Vermögensversicherung, soweit es um die Haftpflicht geht: Kfz-Haftpflichtversicherung.
Gliederung nach Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV):
Altersvorsorge & Rente
- Altersvorsorgevertrag – Riester-Rente
- Basisrente (Rürup)
- Rentenversicherung (lebenslange Rente) – klassisch, fondsgebunden oder gemischt (mit Garantien)
- Kapitallebensversicherung (Auszahlung bei Fälligkeit) – klassisch, fondsgebunden, sonstige (z. B. Kapitalisierung)
- Risikolebensversicherung (Leistung wird seitens des Lebensversicherers fällig, wenn der Versicherungsfall (z. B. Tod) eintritt.
- betriebliche Altersvorsorge (Direktversicherungen, Pensionskassen, Pensionsfonds, Rückdeckungsversicherung von Versorgungszusagen)
- Pflegerentenversicherung (bei Pflegebedürftigkeit wird eine lebenslange Rente ausgezahlt).
Auto & Reise
- Kfz-Haftpflichtversicherung (Pflichtversicherung, die Schadensersatzansprüche deckt, die einem Dritten durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen; Verschuldens- oder Gefährdungshaftung)
- Kaskoversicherungen (freiwillige Voll- oder Teilkaskoversicherung für Glasbruch, Unwetter oder Diebstahl, Kfz-Unfall)
- Reiseversicherungen (Reisestorno-, Reisegepäck-, Reiseunfall-, Kranken- und Transport- sowie Reiserechtsschutzversicherung)
- Kfz-Schutzbrief (übernimmt i. d. R. die Kosten bei Pannen, Unfällen und Diebstahl; bei Bedarf wird auch ein Krankenrücktransport, Abschleppdienst, anfallende Übernachtungskosten oder die Bereitstellung eines Mietwagens abgedeckt).
Beruf & Freizeit
- Private Haftpflichtversicherung (Schadenersatz von berechtigten Forderungen Dritter, ausgenommen Verkehr, Abwehr unberechtigter Ansprüche)
- Rechtsschutzversicherung (Leistungen für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherten im vereinbarten Umfang)
- Private Unfallversicherung (bei Unfällen in der Freizeit und am Arbeitsplatz – für dauerhafte körperliche oder geistige Beeinträchtigungen und Tod)
- Tierversicherung (Tierhalterhaftpflicht-, die Tierkranken- und Tierhalter-Rechtsschutzversicherung)
- Berufsunfähigkeitsversicherung (Erwerbsabsicherung bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in unterschiedlichem Ausmaß: voll/halb), auch als Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung abschließbar
- Risikoversicherung (Invaliditäts- u. a. Risikoversicherungen wie Restschuldversicherung).
Haus & Garten
- Wohngebäudeversicherung (Feuer, Leitungswasser, Blitz, Hagel und Sturm)
- Hausratversicherung (Einbruchdiebstahl, Feuer, Leitungswasser, Blitz, Hagel und Sturm)
- Elementar-Naturgefahrenschutz (für Hausbesitzer und Mieter: Folgen extremer Naturgefahren wie Starkregen, Überschwemmung und Hochwasser). Die Elementarschadenversicherung wird häufig als optionaler Zusatzbaustein zur Hausrat- und Wohngebäudeversicherung angeboten.
Krankheit und Pflege
- Krankenversicherung (Voll- oder Zusatzversicherung: eine private Krankenversicherung ist sowohl anstelle der gesetzlichen Krankenversicherung als auch ergänzend möglich.)
- Pflegeversicherung (private Absicherung des Pflegerisikos, evtl. inkl. Pflegetagegeld).
1.3.2 Einteilung nach der angewandten Versicherungstechnik
Hinter diesem Einteilungskriterium verbirgt sich nichts anderes als die Frage, welche Leistung die Versicherungsgesellschaft im Versicherungsfall erbringen muss.
Wie im Kapitel 1.3.1 angenommen, besitzt Marcel Much u. a. einen Lebensversicherungsvertrag. Ist hierin z. B. vereinbart, dass er mit Erreichen seines 65. Lebensjahres einen Betrag von 50 000,– Euro erhalten soll, dann zahlt der Lebensversicherer zu dem festgesetzten Termin diesen Betrag an Marcel Much aus. Es spielt dabei keine Rolle, ob Marcel Much das Geld benötigt (ob er einen Bedarf hat), ob er einen irgendwie gearteten Schaden hat oder nicht. Die Leistung des Versicherers dient der abstrakten Bedarfsdeckung (d. h. losgelöst vom Vorhandensein eines konkreten Bedarfes). Das Erreichen des vereinbarten Zeitpunktes genügt für die Zahlung der vereinbarten Summe. Die Lebensversicherung ist eine Summenversicherung; es herrscht das Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung.
Wenn dagegen Marcel Much seinem Hausratversicherer z. B. eine Rechnung über ein durch Feuer beschädigtes Möbelstück zur Erstattung einreicht, erhält er nicht etwa die vereinbarte Hausratversicherungssumme, sondern seinen tatsächlichen (d. h. konkreten) Schaden, nämlich den Wert des Möbelstückes, ersetzt. Die Hausratversicherung ist eine Schadenversicherung; es herrscht das Prinzip der konkreten Bedarfsdeckung.
Die Individualversicherung lässt sich also einteilen in Summenversicherung und Schadenversicherung, je nachdem, ob im Versicherungsfall die vereinbarte Summe gezahlt (abstrakte Bedarfsdeckung) oder der entstandene Schaden ersetzt wird (konkrete Bedarfsdeckung).
Manchmal ist eine Zuordnung nicht eindeutig möglich. So kann die Krankenversicherung je nach Leistungsart sowohl Schaden- als auch Summenversicherung sein.
Marcel Much wird für die ihm vom Arzt übersandte Rechnung sicherlich nicht eine vereinbarte Summe von seinem Krankenversicherer erhalten. Vielmehr wird er (einen entsprechenden Tarif vorausgesetzt) den Rechnungsbetrag erstattet bekommen. So gesehen ist die Krankenversicherung also eine Schadenversicherung. Nun gibt es aber auch in der Krankenversicherung die Möglichkeit, dass im Versicherungsfall eine vorher vereinbarte Summe ausgezahlt wird, nämlich in der Krankentagegeld- und in der Krankenhaustagegeldversicherung (Näheres hierzu siehe im Studienheft Personenversicherung). In diesen Fällen ist die Krankenversicherung also eine Summenversicherung.
2 Aufgaben und Bedeutung der Versicherungswirtschaft
Das Verhältnis zwischen denen, die Versicherungsschutz nachfragen (= Versicherungsnehmer, kurz: VN), und den Anbietern von Versicherungsschutz (= Versicherer, Versicherungsgesellschaften, Versicherungsunternehmen, kurz: VR) ist dadurch gekennzeichnet, dass die VR gegen eine im Voraus zu zahlende Prämie vom VN ein genau abgegrenztes Risiko übernehmen.
Es erfolgt, wie man sagt, ein Risikotransfer (eine Risikoübertragung) von dem VN auf den VR. Dieser Risikotransfer gelingt, weil der VR das Risiko besser überblickt bzw. beherrscht als der VN, weil er systematisch Daten über die Risiken sammelt, diese systematisch auswertet und mithilfe der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung geeignete Kalkulations- und Rechnungsgrundlagen für die Risikobewertung schafft. Gleichartige Risiken werden vom VR zu einer Gemeinschaft – sog. Gefahrengemeinschaft – zusammengefasst. Für diese Gefahrengemeinschaft gilt dann: Alle (Mitglieder) sind vom gleichen Risiko bedroht, aber nur einige sind – wenn überhaupt – gleichzeitig betroffen.
Dadurch, dass der VN sein Risiko gegen Entgelt (= Beitrag bzw. Prämie) auf den VR überträgt, ergeben sich für den VN gewisse Konsequenzen:
- Rechtsanwalt Marcel Much besitzt in dem angeführten Beispiel im Rahmen seiner Krankenversicherung nicht nur eine Krankheitskostenvollversicherung, sondern auch eine Krankentagegeldversicherung. Sinn der Krankentagegeldversicherung ist es, dem VN im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit pro Tag einen bestimmten, vertraglich vereinbarten Geldbetrag zu zahlen. (Näheres siehe Studienheft Personenversicherung). Da der selbstständige Rechtsanwalt Marcel Much keine Lohnfortzahlung erhält und nicht sozialversichert ist, bedeutet für ihn jeder Krankheitstag einen Verdienstausfall.
Ohne einen entsprechenden Versicherungsvertrag müsste Marcel Much für derartige Fälle Geldmittel – etwa auf einem Sparkonto – bereithalten, wobei er nicht weiß, ob er überhaupt krank werden wird, und wenn, wie lange und wie oft er krank sein wird. D. h., die Höhe der benötigten Geldmittel ist ungewiss. Der Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages bedeutet jedoch: Das Risiko wird über die Versicherungsprämie kalkulierbar und die Bereithaltung entsprechender liquider Mittel entfällt.
- Sollte im Unternehmen des Verkäufers Konstantin Weißbach ein Feuer ausbrechen, das den Betrieb ganz oder teilweise zerstört, so könnte dem Unternehmer unter Umständen eine Wiederherstellung unmöglich sein, weil es ihm an den erforderlichen Geldmitteln mangelt. Der Betrieb müsste geschlossen werden und Konstantin Weißbach verlöre seinen Arbeitsplatz. Ein entsprechender Versicherungsvertrag dagegen sichert den Fortbestand des Betriebes und erhält die Arbeitsplätze.
Die Bereitstellung von Versicherungsschutz bewirkt ferner, dass:
- die Kreditwürdigkeit der VN wächst (z. B. beim Bau/Kauf einer Immobilie),
- die staatliche Fürsorge durch Eigenvorsorge entlastet wird,
- die Einführung und Erprobung neuer Techniken (Risiken!) erleichtert wird.
Und nicht zuletzt:
- Dadurch, dass in der Versicherungswirtschaft Mitarbeiter benötigt werden, schafft sie auch Arbeitsplätze: 290 070 Angestellte sind z.Zt. in Deutschland bei rd. 1 250 Versicherungsunternehmen und im Versicherungsvermittlergewerbe beschäftigt, hinzu kommen ca. 197 500 haupt- oder nebenberuflich tätige selbstständige Versicherungsvermittler und -berater.
- Die Bereitstellung von Kapital durch die Versicherungswirtschaft insbesondere für die Finanzierung von Immobilien und Unternehmen, von Banken und der öffentlichen Hand.
Abb. 2.1: Kapitalanlagen der Versicherer im Vergleich (Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)
Als wichtigste Organisationen der Versicherungswirtschaft sind der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) zu nennen, der die Interessen der meisten Versicherungsunternehmen in Deutschland vertritt sowie der Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV), in dem die privaten Krankenversicherer organisiert sind, der Bund der Versicherten e. V. (BdV), der für die Rechte der Versicherungsnehmer eintritt (z. B. Einhaltung des Versicherungsvertragsgesetzes,/ VVG) sowie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), welche die Versicherungswirtschaft gemäß den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) beaufsichtigt. Verbraucher können sich bei Beschwerden/Meinungsverschiedenheiten an die Ombudsperson für Versicherungen in Berlin wenden.
3 Rechtliche Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag
3.1 Rechtliche Grundlagen des Versicherungsvertrages
Wir wollen hier nur einige wesentliche rechtliche Grundlagen des Versicherungsvertrages erwähnen. Nähere Einzelheiten werden, soweit sie angebracht sind, jeweils bei der Behandlung der einzelnen Versicherungszweige in den weiteren Studienheften erläutert.
Beim Versicherungsvertrag handelt es sich um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Er zählt zu den schuldrechtlichen Verträgen und ist ein gegenseitiger Vertrag. Für ihn gelten, sofern keine Sonderbestimmungen existieren, die allgemeinen Vertragsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 305 ff. BGB).
Auch ein Versicherungsvertrag kommt durch zwei (oder mehrere) übereinstimmende Willenserklärungen zustande, von denen die eine mit Antrag, die andere mit Annahme bezeichnet wird. In den weitaus meisten Fällen geht dabei der Antrag vom Kunden, dem künftigen Versicherungsnehmer, aus und erfolgt mithilfe eines Antragsformulars. Die Annahme des VR erfolgt in der Regel durch Übersendung des Versicherungsscheines (der Police) oder durch vorherige Übersendung einer Annahmeerklärung. Letzteres geschieht häufig infolge von „Arbeitsüberlastung“.
Auszug aus einer Annahmeerklärung:
Sehr geehrter Kunde,
wegen eines überdurchschnittlichen Antragseinganges verzögert sich leider die Ausstellung der Police über den von Ihnen beantragten Versicherungsschutz. Dadurch sollen Ihnen aber keine Nachteile entstehen. Deshalb bestätigen wir Ihnen heute die Annahme Ihres Antrages.
Bedeutsamer als die grundlegenden Bestimmungen des BGB sind für den Versicherungsvertrag jedoch die speziellen Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
Darüber hinaus stellen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) die sogenannten „Geschäftsbedingungen“ der VR dar. Mit ihrer Hilfe beschreibt der VR z. B. das von ihm zu übernehmende Risiko. Jeder Versicherungszweig hat seine eigenen allgemeinen Versicherungsbedingungen. So gibt es u. a. „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung (AFB)“, „Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB)“ und „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB. Diese allgemeinen Geschäftsbedingungen können jedoch nicht frei und willkürlich formuliert werden, sondern unterliegen den einschlägigen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB. Sie werden zumeist von den Versicherungsverbänden als unverbindliche und auf den Einzelfall anpassbare Musterbedingungen für ihre Mitglieder vorgegeben.
Hinzu kommen Zusatzbedingungen, wie z. B. „Zusatzbedingungen für Fabriken und gewerbliche Anlagen“, die spezielle Regelungen für einzelne Risikogruppen innerhalb eines Versicherungszweigs treffen. In vielen Versicherungszweigen spielen auch vorformulierte Klauseln eine Rolle, die als Einzelbestimmung den Versicherungsschutz verändern (Risikoausschluss oder zusätzliche Deckungen). Schließlich können noch ganz individuelle Absprachen für den jeweiligen Einzelfall getroffen werden.
Zu beachten ist, dass die jeweils speziellere Regelung der allgemeineren vorgeht.
Sollte also beispielsweise in einem konkreten Fall Unklarheit bezüglich des Versicherungsschutzes bestehen, ist zunächst zu prüfen, ob eine individuelle Vereinbarung in dieser Hinsicht getroffen wurde. Ist dies nicht der Fall, wäre zu prüfen, ob nicht eine entsprechende Klausel hierzu besteht. Ist auch das nicht der Fall, müsste auf eventuelle Zusatzbedingungen geachtet werden usw. Es gilt also das Prinzip „vom Speziellen zum Allgemeineren“.
Daraus ergibt sich die nachstehende Reihenfolge:
- individuelle Vereinbarungen,
- Klauseln,
- Zusatzbedingungen,
- allgemeine Versicherungsbedingungen,
- VVG,
- BGB.
3.2 Das Widerrufsrecht
Versicherungsverträge sind in der Regel Zeitverträge, d. h., sie werden für eine bestimmte Zeit (= Laufzeit) abgeschlossen. Diese Laufzeit kann unterjährig sein (ein typisches Beispiel ist die Reisegepäckversicherung), sie kann auch ein Jahr (einjährige Verträge ) oder mehrere Jahre (mehrjährige Verträge ) umfassen. Für die ein- und mehrjährigen Verträge enthalten die AVB meistens eine Verlängerungsklausel, d. h., derartige Verträge verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht ordnungsgemäß mit einer Frist von ein bis drei Monaten (je nach Versicherungsbedingungen) vor Ablauf gekündigt werden (stillschweigende Verlängerung).
Für Verträge mit einer Laufzeit von mindestens einem Monat regelt der § 8 des VVG ein Widerrufsrecht. Das Recht dient dem Verbraucherschutz, ist allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft:
- Es wurde kein sofortiger Versicherungsschutz (vorläufige Deckung) beantragt (vgl. „Arten des Versicherungsbeginns“ in Kapitel 4),
- Frist 14 Tage (Lebensversicherung 30 Tage gem.§ 152 Abs. 1 VVG) ab Zugang des Versicherungsscheines, der Versicherungsbedingungen und gesetzlich vorgeschriebener Verbraucherinformationen. Wenn (Teile der) Unterlagen fehlen, beginnt der Fristlauf nicht. Für die Wahrung der Frist reicht seitens des VN die rechtzeitige Absendung des Widerrufs, eine Begründung ist nicht notwendig,
- es ist Textform erforderlich,
- der Kunde ist vom VR zudem über sein Recht in Textform und deutlich gestaltet zu belehren.
Wir wollen uns das Ganze anhand von Beispielen verdeutlichen:
Der uns bereits bekannte Verkäufer Konstantin Weißbach möchte zur Abdeckung eventuell entstehender besonderer Kosten im Rahmen der privaten Krankenversicherung einen Vertrag über zusätzliche Leistungen abschließen. Der von ihm telefonisch um einen Besuch gebetene Vertreter (Agent) erscheint bei Konstantin Weißbach verabredungsgemäß am 10.1. Der Agent bespricht mit Konstantin Weißbach die näheren Einzelheiten des Vertrages und füllt zusammen mit ihm ein Antragsformular aus, das dann von Konstantin Weißbach unterschrieben wird.
Fallvariation 1:
Konstantin Weißbach erhält bei Antragstellung keine Versicherungsbedingungen (AVB) bzw. aufklärende Verbraucherinformationen (Infos).
Widerrufsrecht:
Die 14-tägige Widerrufsfrist beginnt erst mit Zugang der Police, wenn auch die Infos sowie AVB mitgeschickt werden und Konstantin Weißbach auffällig über sein Recht belehrt wird. Ansonsten beginnt die Widerrufsfrist erst, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.
Fallvariation 2:
Konstantin Weißbach erhält mit Antragstellung auch die Versicherungsbedingungen (AVB) und aufklärenden Verbraucherinformationen (Infos).
Widerrufsrecht:
Die 14-tägige Widerrufsfrist beginnt mit Zugang der Police und der Belehrung über das Widerrufsrecht. Fehlt der Hinweis auf das Recht, kann der Kunde theoretisch „ewig“ widerrufen (Gleiches gilt übrigens, wenn AVB und/oder Infos nicht zur Verfügung gestellt wurden).
3.3 Billigungsklausel
Als Marcel Much seinerzeit einen Antrag auf Abschluss eines Hausratversicherungsvertrages stellte, hatte er die im Antragsformular vorgesehene Frage nach der gewünschten Zahlungsweise mit „jährliche Zahlungsweise“ beantwortet. Als ihm kurze Zeit darauf die Police zuging, stellt er fest, dass diese „monatliche Zahlungsweise“ vorsieht. Folglich weicht der Inhalt des Antrages vom Inhalt der Police ab.
Die allgemeinen rechtlichen Vorschriften des BGB regeln in § 150 Abs. 2: „Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag.“
Für den Versicherungsvertrag enthält allerdings das VVG eine Sonderregelung: Es handelt sich um die sogenannte Billigungsklausel, die in § 5 VVG zu finden ist (und ergänzend zum Widerrufsrecht nach § 8 VVG gilt).
Sie besagt sinngemäß:
- Weicht der Inhalt des Versicherungsscheines von dem Antrag ab, so gilt die Abweichung als genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Empfang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht.
- Diese Genehmigung gilt jedoch nur, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins belehrt hat, dass Abweichungen gelten sollen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Empfang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Auf die einzelnen Abweichungen ist deutlich hinzuweisen.
- Hat der Versicherer den o. a. Vorschriften nicht entsprochen, so ist die Abweichung für den Versicherungsnehmer unverbindlich und der Inhalt des Versicherungsantrages als vereinbart anzusehen.
Für Marcel Much, der ja Rechtsanwalt ist, dürften sich hinsichtlich der Beurteilung der Sachlage keine Schwierigkeiten ergeben. Für den Laien wird der Inhalt der Vorschrift eventuell nicht ganz so klar verständlich sein. Was besagt also die Billigungsklausel? Der erste Absatz (§ 5 Abs. 1 VVG, bitte lesen) ist wohl ohne Weiteres verständlich: Beim Abweichen des Policentextes vom Antragstext muss der VN in Textform widersprechen, und zwar innerhalb eines Monats, gerechnet vom Empfang der Police an. Widerspricht er nicht, gilt der Policentext.
Im Falle Marcel Much liegt eine derartige Abweichung vor, denn der Antragstext enthält „jährliche Zahlungsweise“, der Policentext dagegen „monatliche Zahlungsweise“. Will Marcel Much vermeiden, dass er seine Prämie monatlich zahlen muss, muss er dies dem VR in Textform mitteilen. Dieser Widerspruch muss innerhalb eines Monats, gerechnet von dem Zeitpunkt an, zu dem er die Police erhalten hat, erfolgen.
Widerspricht Marcel Much in der vorgeschriebenen Weise, so kommt der Vertrag nicht zustande; Marcel Much müsste, sofern er immer noch einen entsprechenden Hausratversicherungsvertrag wünscht, mit dem VR neu verhandeln.
Widerspricht Marcel Much nicht (oder nicht in der vorgeschriebenen Weise), so soll nach § 5 VVG der Policentext gelten; d. h., für Marcel Much bestünde verpflichtend eine monatliche Zahlungsweise. Da für den im Umgang mit rechtlichen Dingen nicht erfahrenen VN diese Regelung eine Benachteiligung darstellen könnte, verlangt die Billigungsklausel, dass der VR zwei Voraussetzungen erfüllen muss. Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, gilt der Antragstext, also das vom VN Gewünschte.
Die Voraussetzungen:
Zum einen muss der VR auf die Abweichungen vom Antragstext deutlich hinweisen. Dies geschieht in der Praxis meistens dadurch, dass die entsprechenden Stellen farbig gekennzeichnet werden. Zum Zweiten muss der VR bei Aushändigung der Police eine deutliche Rechtsbelehrung des VN vornehmen. D. h., der VR muss den VN darauf hinweisen, dass er der Abweichung in Textform innerhalb eines Monats widersprechen kann und dass beim Unterlassen eines Widerspruchs der Policentext gelten würde.
Beispiel 3.1:
An den kenntlich gemachten Stellen weicht der Versicherungsschein von dem Antrag ab. Wenn nicht innerhalb eines Monats nach Empfang des Versicherungsscheins in Textform widersprochen wird, gelten die Abweichungen als genehmigt.
Verdeutlichen wir uns das Gesagte noch einmal am Fall Marcel Much (Abweichung bezüglich der Zahlungsweise):
- a) Der Versicherer hat die Abweichung in der Police kenntlich gemacht und in einem besonderen, der Police beigefügten Schreiben die Rechtsbelehrung vorgenommen:
- Marcel Much widerspricht ordnungsgemäß:
Es kommt kein Vertrag zustande.
- Marcel Much widerspricht nicht (oder nicht ordnungsgemäß, z. B. erst nach drei Monaten):
Der Vertrag kommt zustande, es gilt der Policentext (also monatliche Zahlungsweise).
- b) Der Versicherer hat die Rechtsbelehrung und/oder die besondere Kenntlichmachung der Abweichung nicht vorgenommen:
Ein Vertrag kommt zustande, es gilt der Antragstext (also jährliche Zahlungsweise).
3.4 Gebündelte und kombinierte (verbundene) Versicherung
Als Konstantin Weißbach am 10.1. den Antrag auf Abschluss einer Zusatzkrankenversicherung stellt, fragt er den Versicherungsvertreter auch nach einer Hausratversicherung, nach einer (Privat-)Haftpflichtversicherung sowie nach einer Unfallversicherung für sich und seine Frau. Der Vertreter weist Konstantin Weißbach auf die Möglichkeit einer gebündelten oder kombinierten Familienversicherung hin (nicht zu verwechseln mit der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung!) und erklärt ihm, dass bei einer solchen Versicherung mehrere Versicherungssparten zu einem Paket zusammengefasst seien.
Im vorliegenden Fall enthält das Antragsformular folgende Sparten:
- Unfallversicherung,
- Hausratversicherung,
- Glasversicherung,
- Haftpflichtversicherung.
Konstantin Weißbach wählt aus diesem Angebot die von ihm gewünschten Sparten (Unfall-, Hausrat- und Haftpflichtversicherung) aus. Er braucht nur ein Antragsformular auszufüllen, erhält später auch nur eine Police (einen Versicherungsschein) und bezahlt die einzelnen Prämien in einer Summe.
Man bezeichnet eine Zusammenfassung mehrerer Sparten (Gefahren) zu einem einheitlichen Paket als eine gebündelte Versicherung.
Auch wenn nur ein Antrag gestellt und nur eine Police ausgefertigt wird, handelt es sich bei den einzelnen Sparten um rechtlich selbstständige Verträge, für die jeweils die zugehörigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelten. Das hat vor allem Konsequenzen im Falle einer Kündigung.
Grundsätzlich können sowohl der VR als auch der VN bei einem ersatzpflichtigen Schaden das Versicherungsverhältnis kündigen. Sollte also Konstantin Weißbach zum Beispiel, weil er nach einem ersatzpflichtigen Hausratschaden mit der Schadenregulierung seitens des VR unzufrieden ist, das Versicherungsverhältnis kündigen wollen, kann er diese Kündigung nur für die Hausratversicherung vornehmen. Die übrigen Sparten (Unfall, Haftpflicht) bleiben bestehen (es sei denn, er beschreitet den Weg der ordentlichen Kündigung, z. B. zum Ende des Versicherungsjahres).
Von der gebündelten Versicherung ist die verbundene Versicherung (auch kombinierte Versicherung genannt) zu unterscheiden.
Bei der verbundenen Versicherung werden zwar auch mehrere Gefahren aufgrund eines Antrages durch Ausstellung einer Police gedeckt, jedoch handelt es sich hier um einen Vertrag mit einheitlichen Versicherungsbedingungen.
Ein bekanntes Beispiel für eine verbundene (kombinierte) Versicherung ist die Hausratversicherung, bei der die Gefahren Feuer, Einbruchdiebstahl, Vandalismus und Beraubung, Leitungswasser sowie Sturm und Hagel gedeckt werden; einzelne Gefahren, z. B. nur die Feuerversicherung, können nicht „heraus“-gekündigt werden.
Beispiel 3.2:
Wie angenommen besitzt Marcel Much eine Hausratversicherung. Als ein ersatzpflichtiger Feuerschaden eintritt und Marcel Much mit der schleppenden Schadenregulierung nicht zufrieden ist, spricht er die Kündigung für die Feuerversicherung aus.
Eine derartige Kündigung ist nicht möglich. Marcel Much kann nur den gesamten Hausratversicherungsvertrag kündigen, andernfalls muss er von einer Kündigung Abstand nehmen.
4 Arten des Versicherungsbeginns
4.1 Vorbemerkung
Der Versicherer ist gesetzlich verpflichtet, den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages zu beraten, das Ergebnis der Beratung zu dokumentieren und diesem die AVB und ein Produktinformationsblatt vor Vertragsschluss in Schriftform zu übermitteln. Im Gegenzug hat der Versicherungsnehmer dem Versicherungsgeber alle Risiken für die beantragte Versicherung mitzuteilen (das gilt auch für spätere Gefahrenerhöhungen). Die Annahme des Antrags durch den Versicherungsgeber wird wie bereits angeführt durch Übersendung des Versicherungsscheins (Police) und verschiedener Verbraucherinformationen (inkl. Widerrufsrecht) an den Versicherungsnehmer bestätigt (Näheres auch nachfolgend).
Daraus ergeben sich – vielleicht zu Ihrem Erstaunen – verschiedene Arten des Versicherungsbeginns. Denn wenn Konstantin Weißbach am 10.1. den Antrag auf eine Zusatzversicherung im Rahmen der privaten Krankenversicherung ausfüllt und die Frage nach dem gewünschten Versicherungsbeginn z. B. mit 1.3. beantwortet, scheint doch nur ein Beginn, nämlich der 1.3., vorhanden zu sein. Allerdings scheint das nur so; wir werden sehen, dass insgesamt drei Arten des (Versicherungs-)Beginns zu unterscheiden sind, nämlich der formelle, der technische und der materielle Beginn.
4.2 Der formelle Versicherungsbeginn
Nach der Antragstellung am 10.1. mit dem gewünschten Versicherungsbeginn 1.3. erhält Konstantin Weißbach beispielsweise am 25.2. die Police. Der Zugang der Police bei Konstantin Weißbach stellt, wie wir wissen, die Annahme des Antrages dar. Damit ist der Vertrag zwischen Konstantin Weißbach und dem privaten Krankenversicherer geschlossen, sofern Konstantin Weißbach nicht von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht. Ab hier beginnen die vertraglichen Beziehungen zwischen VN und VR. Dieser Beginn ist auf den juristisch wirksamen Abschluss des Vertrages abgestellt, also rein formell. Deshalb bezeichnet man ihn als formellen Beginn.
Der formelle Beginn ist der Beginn der vertraglichen Beziehungen zwischen VN und VR; er ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. In der Regel also der Zeitpunkt, zu dem die Police (oder vorher eine Annahmeerklärung) dem VN zugeht.
4.3 Der technische Versicherungsbeginn
Konstantin Weißbach hat in seinem Antrag den 1.3. als gewünschten Versicherungsbeginn angegeben; dieses Datum ist auch in seiner Police dokumentiert. Ab diesem Zeitpunkt berechnet der VR dem VN die Prämie, d. h.:
Der technische Beginn ist der Beginn des prämienbelasteten Zeitraumes, er ist im Versicherungsschein angegeben.
Ob der VN von diesem Zeitpunkt an auch Leistungen vom VR verlangen kann, ist eine andere Frage. Sie wird beantwortet vom materiellen Versicherungsbeginn.
4.4 Der materielle Versicherungsbeginn
Der materielle Versicherungsbeginn ist der Beginn der Leistungspflicht des VR.
Ab diesem Zeitpunkt kann der VN vom VR bei Eintritt des Versicherungsfalles die vertraglich vereinbarte Leistung verlangen. D. h., Konstantin Weißbach kann z. B. aus seiner Krankheitszusatzversicherung eine entsprechende Erstattung seiner Arztrechnungen verlangen. Dieser Zeitpunkt ergibt sich nicht unbedingt aus der Police, wogegen der technische Beginn im Versicherungsschein ausdrücklich angegeben ist.
Wir wollen uns die feine Unterscheidung zwischen materiellem und technischem Versicherungsbeginn anhand eines weiteren Beispiels verdeutlichen:
Unternehmer Siegfried Schlau beantragt am 1.12. eine Feuerversicherung für sein Bürogebäude. Technischer (das heißt gewünschter und in der Police auch dokumentierter) Versicherungsbeginn soll der 1. Januar des Folgejahres sein.
Herr Schlau erhält die Police mit allen Unterlagen und Rechtsbelehrungen bereits am 10.12.
Am 3. Januar des Folgejahres richtet ein Brand erheblichen Schaden im Bürogebäude an.
Mit der Meldung an die Versicherung überweist der VN am 4.1. auch die Prämie.
Der VR lehnt die Entschädigung ab!
Diese berechtigte Ablehnung der Entschädigung hängt damit zusammen, dass der Schaden zwar nach dem von Herrn Schlau gewünschten und in der Police dokumentierten Beginn (= technischer Beginn = 1.1.) eintritt, Herr Schlau aber die Prämie erst am 4.1. überweist. Das Versicherungsvertragsgesetz sieht nämlich vor, dass der VR grundsätzlich von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, wenn die erste Prämie zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch nicht gezahlt ist, sofern der VN die Nichtzahlung zu vertreten (verschuldet) hat . Man könnte auch sagen, dass der materielle Beginn erst mit der Zahlung der ersten Prämie erfolgt bzw. mit der Einlösung der Police. Deshalb bezeichnet man auch diesen in § 37 VVG Abs. 2 verankerten Grundsatz als „strenges Einlösungsprinzip“.
Hätte Herr Schlau an irgendeinem Datum zwischen dem 10.12. (Eingang der Police bei ihm) und dem 3.1. (Schadenseintritt) die Prämie gezahlt, wäre der VR leistungspflichtig gewesen (allerdings nicht für einen Schaden, der vor dem 1.1. eintritt, da dieses Datum der von Herrn Schlau gewünschte Beginn ist).
4.5 Sonderfälle
4.5.1 Die „erweiterte Einlösungsklausel“
Das strenge Einlösungsprinzip kann also dazu führen, dass technischer und materieller Beginn auseinanderfallen.
Eine für den Kunden (und auch VR) oft unbefriedigende und unangenehme Situation.
Deshalb finden wir heute in vielen AVBs (z. B. für die im obigen Fall genannte Haus¬- rat-, aber auch bei der Unfall- oder Haftpflichtversicherung) die „erweiterte Einlösungsklausel“ (EEK).
Sie besagt sinngemäß Folgendes:
Wird die Prämie dem VN erst nach dem technischen Beginn in Rechnung gestellt, dann aber von ihm unverzüglich bezahlt, so besteht die Leistungspflicht des VR schon rückwirkend ab dem technischen (also in der Police dokumentierten) Beginn.
Die EEK stellt somit eine vernünftige Praxislösung für das Massengeschäft dar, weil meistens die Prämienrechnung (erst) mit der Police zugeht, unabhängig vom technischen Beginn. Es wird sichergestellt, dass technischer und materieller Beginn auf das gleiche Datum vor dem formellen Beginn fallen, wenn der VN die Prämie unverzüglich nach formellem Beginn und Ablauf der Widerrufsfrist zahlt.
„Unverzüglich“ bedeutet Zahlung unmittelbar nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins (§ 33 Abs. 1 VVG).
Beispiel 4.1:
Antragstellung für Hausratversicherung: 15.5.
Gewünschter Beginn lt. Police/Antrag: 1.6. = technischer und materieller Beginn
Zugang der Police mit Prämienrechnung beim VN: 10.6. = formeller Beginn
Prämienzahlung: 19.6. = unverzüglich
Schaden: 11.6. = Leistungspflicht des VR
4.5.2 Rückwärtsversicherung (§ 2 VVG)
Die Rückwärtsversicherung (nicht mit Rückdatierung verwechseln, s. u.) ist in § 2 des VVG geregelt und stellt eine Erweiterung der erweiterten Einlösungsklausel (EEK) dar.
Diese Erweiterung besteht darin, dass der Kunde schon bei Antragstellung Versicherungsschutz für die Vergangenheit sicherstellen kann.
Das bedeutet, dass auch hier der technische Beginn (und damit der Beginn des prämienpflichtigen Zeitraumes) sowie der materielle Beginn auf ein Datum fallen, jedoch gewollt in die Vergangenheit gelegt werden. Der Vertrag kann formell durchaus erst später zustande kommen.
Beispiel 4.2:
Antragstellung für eine
Architektenhaftpflichtversicherung: 15.6.
Gewünschter Beginn lt. Police/Antrag: 1.6. = technischer u. materieller Beginn
Zugang der Police etc. beim VN: 30.6. = formeller Beginn
Prämienzahlung: 4.7. = unverzüglich
Schadenverursachung durch Fehlplanung: 11.6. = Leistungspflicht des VR
Bemerkung des Schadens: 20.8.
Da bei dieser Anordnung des technischen, materiellen und formellen Beginns bereits bei Abschluss des Vertrages der Versicherungsfall eingetreten sein kann, ist der Abschluss einer Rückwärtsversicherung an Voraussetzungen gebunden:
- Dem VN darf bei Vertragsabschluss nicht bekannt sein, dass der Versicherungsfall schon eingetreten ist.
- Dem VR darf bei Vertragsabschluss nicht bekannt sein, dass ein Versicherungsfall nicht eintreten kann.
Anders ausgedrückt: VN und VR müssen über das Schicksal des zu versichernden Risikos im Ungewissen sein.
Ihre Anwendung findet die Rückwärtsversicherung vor allem in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, in der Architektenhaftpflichtversicherung und, vor allem in früheren Jahren, in Bereichen der Transportversicherung.
Die Rückwärtsversicherung macht unter den gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen bei einigen Versicherungssparten keinen Sinn. Z. B. weiß der Kunde in der Krankenversicherung bei Antragstellung von bereits vorhandenen Erkrankungen. Somit müsste er das dem VR „anzeigen“. Deshalb müsste der VR die Rückwärtsversicherung ablehnen, da der VN schon weiß, dass „der Versicherungsfall eingetreten ist“.
4.5.3 Vorläufige Deckungszusage (§ 49 ff. VVG)
Im Privatkundengeschäft kennt man die „vorläufige Deckungszusage“ vor allem aus der Kfz-Versicherung und bisweilen auch in der Lebens- und Krankenversicherung.
Ebenso ist sie im gewerblichen Bereich häufig vertreten.
Mit ihr überbrückt man die nach strenger Einlösungsklausel (§ 37 VVG) noch leistungsfreie Zeit zwischen Antragstellung bzw. technischem Beginn und nachfolgendem formellen und folglich noch späteren materiellen Beginn.
Was unterscheidet sie von der „erweiterten Einlösungsklausel“?
Die vorläufige Deckungszusage ist ein selbstständiger Vertrag, losgelöst vom „eigentlichen“ (späteren) Vertrag. Es erfolgt meistens noch keine bzw. keine endgültige Risikoprüfung und keine Übergabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Der Versicherungsschutz kann ohne Prämienvorauszahlung beginnen. Allerdings kann der VR (in Ausnahmefällen) den Versicherungsschutz von der Zahlung einer ersten Prämie abhängig machen. Die vorläufige Deckungszusage endet, sofern eine Frist vereinbart wurde, mit Fristablauf, ansonsten mit dem Zustandekommen oder der Ablehnung des „eigentlichen“ Vertrages.
4.5.4 Rückdatierung
Das Auseinanderfallen von technischem und materiellem Beginn kann aber auch im Interesse des VN liegen. So staffeln sich z. B. die Tarife in der Kranken- und Lebensversicherung nach dem sogenannten Eintrittsalter (meistens Anfangsjahr des Vertrages minus Geburtsjahr).
Wir wollen uns die Auswirkungen an einem Beispiel verdeutlichen:
Beispiel 4.3:
Marcel Much hat am 15.1. seinen Vertreter zu sich gebeten. Er ist am Abschluss einer Krankenzusatzversicherung interessiert. Im Gespräch mit dem Agenten erfährt er, dass sein Beitrag bei dem von ihm gewünschten Tarif monatlich 25,60 Euro beträgt. Das erscheint ihm zu teuer. Als er schon resigniert das Gespräch beenden will, macht der Vertreter ihm einen Vorschlag: Der technische Beginn soll auf den 1.12. des Vorjahres gelegt werden, einen Zeitpunkt, zu dem er versicherungstechnisch noch ein Jahr jünger war. Damit würde er dauerhaft nur einen monatlichen Beitrag von 20,40 Euro zahlen. Der materielle Versicherungsschutz würde aber dennoch erst im neuen (laufenden) Jahr einsetzen. Marcel Much ist einverstanden. Am 12.2. erhält er die Police. Die Rückdatierung erfolgte, um ein geringeres Eintrittsalter und damit dauerhaft eine niedrigere Prämie zu erzielen.
Die Reihenfolge der Beginne lautet dann:
1.12. technischer Beginn: Ab hier wird die Prämie berechnet, in der Police dokumentiert.
12.2. formeller Beginn: Zugang der Police
12.2. materieller Beginn:[ Erst ab hier besteht für den VR im Versicherungsfall die Leistungspflicht
(wenn Prämie korrekt/fristgerecht gezahlt wird).
Ein weiteres „Anwendungsgebiet“ der Rückdatierung in der Personenversicherung ist die Versicherbarkeit von Personen trotz Überschreitens einer Altersgrenze. Auf diese Weise können noch Menschen versichert werden, die mit „aktuellem“ Eintrittsalter nicht mehr versicherbar wären.
In der Sach-. bzw. Vermögensversicherung kennt man die Rückdatierung aus der Kfz-Versicherung. Sie wird vorgenommen, um eher in den Genuss einer niedrigeren Schadenfreiheitsklasse zu kommen.
5 Die Prämie (Beitrag)
5.1 Kennzeichnung der Prämie
Die Prämie im engeren Sinne ist die Gegenleistung des VN für die Gefahrenübernahme durch den VR. Im weiteren Sinne stellt „Prämie“ den Gesamtbetrag dar, den der VN dafür zahlen muss, dass der VR das Risiko in Deckung nimmt.
Zur Prämie im weiteren Sinne gehören in der Regel:
- die Prämie im engeren Sinne (siehe oben, erster Satz), sie ist abhängig vom übernommenen Risiko,
- Kosten für Risikoprüfung, Verwaltung und Schadenregulierung,
- die Versicherungssteuer (grundsätzlich beträgt diese z.Zt. 19 %,; Lebens- und Kranken- und Pflegeversicherung sind versicherungssteuerfrei).
Sie stellt also das Entgelt (Preis) für die Versicherungsleistung dar und wird in den Tarifwerken der Versicherer – unterteilt nach dem Ausmaß der Inanspruchnahme und Höhe der Deckung – dokumentiert (veröffentlicht). Durch Übernahme eines Teils des Risikos durch den VN („Selbstbehalt“), kann die Höhe der Prämie verringert werden.
Mangels anderer Vereinbarungen ist die Prämie (der Beitrag) unverzüglich, d. h. sofort nach Ablauf von zwei Wochen ab Policenerhalt zu zahlen (s. o.). Näheres erfahren Sie bei den einzelnen Versicherungssparten.
5.2 Arten der Prämie
Bei einer Versicherung gegen Einmalprämie ist die Prämie für die gesamte Laufzeit der Versicherung in einer Summe bei Vertragsabschluss zu zahlen. Einmalprämien spielen vor allem bei kurzfristigen Verträgen eine Rolle, z. B. bei der Reisegepäckversicherung. Man begegnet der Einmalprämie bisweilen aber auch bei längerfristigen Verträgen, so z. B. in der Lebensversicherung.
In allen anderen Fällen, wenn also die Prämie für die gesamte Laufzeit nicht in einer Summe gezahlt wird, spricht man von laufender Prämie. Dabei kann es sich um unterjährige (Monats-, Vierteljahres-, Halbjahres-)Prämien handeln oder um Jahresprämien. Um eine laufende Prämie handelt es sich auch bei einer einjährigen Versicherung mit ratenweiser Prämienzahlung.
Bedeutsamer als die Unterscheidung in Einmal- und laufende Prämie sowie in Jahres- und unterjährige Prämie ist die in Erstprämie und Folgeprämie. Unter Erstprämie versteht man grundsätzlich den ersten nach Vertragsschluss bzw. Vertragsänderung zu zahlenden Beitrag.
Diese Unterscheidung ist deswegen bedeutsamer, weil die Rechtsfolgen im Falle der Nichtzahlung bzw. der nicht rechtzeitigen Zahlung (s. o. Einlöseprinzip) der Erstprämie für den VN ungünstiger sind als im Falle der Folgeprämie.
5.3 Nichtzahlung der Erstprämie (§ 37 VVG)
Ist die Erstprämie fällig und wird nicht bezahlt, so befindet sich der VN im Prämienzahlungsverzug:
Wie bei jedem Vertrag kann auch beim Versicherungsvertrag der VR auf Vertragserfüllung, also auf Zahlung der Prämie, klagen.
Der VR kann statt der Klage auf Vertragserfüllung dem VN den Rücktritt vom Vertrag erklären. Diesen Weg wird der VR z. B. dann beschreiten, wenn er auf die Erfüllung des Vertrages keinen Wert legt, etwa weil die Geschäftsbeziehung bereits am Anfang Schwierigkeiten bereitet.
Für diejenigen, die sich bereits mit dem Rücktrittsrecht des BGB auseinandergesetzt haben, sei darauf hingewiesen, dass „Rücktritt“ im VVG nicht mit „Rücktritt“ im BGB übereinstimmt. Der Rücktritt nach VVG nimmt eine Art Zwischenstellung zwischen Kündigung und Rücktritt nach BGB ein, sodass man bezüglich der Wirkung eines Rücktritts nach VVG am einfachsten sagen kann: Das Versicherungsverhältnis entfällt.
Zu beachten ist, dass der VR, welchen Weg er auch immer beschreitet (Klage, Rücktritt), von der Verpflichtung zur Leistung befreit ist (vgl.: Einlöseprinzip), sofern der VN hierüber schriftlich aufgeklärt wurde und die Nichtzahlung der Prämie zu vertreten (verschuldet) hat.
Damit die für den VN negativen Konsequenzen durch Nichtzahlung des Erstbeitrages eintreten, muss der VR ihn bereits mit Übersendung der Police hierauf deutlich im Dokument selber oder in gesonderter Textform hinweisen.
Versäumt der VR dies, muss er trotz ausstehender Prämienzahlung Versicherungsschutz gewähren (kann aber die säumige Prämie grundsätzlich mit der Leistung verrechnen).
Beispiel 5.1:
Franz Hinterhuber hat einen Feuerversicherungsvertrag abgeschlossen; die erste Prämie ist am 1.3. fällig, wird aber von ihm nicht bezahlt.
Am 15.3. ist die Prämie durch Hinterhubers Verschulden immer noch nicht gezahlt. Der VR verzichtet (wie meistens in der Praxis) auf eine Klage, erklärt aber in einem entsprechenden Schreiben an Franz Hinterhuber den Rücktritt vom Vertrag.
Ergebnis:
- Der VR ist leistungsfrei.
- Mit dem Rücktritt entfällt das Versicherungsverhältnis rückwirkend.
5.4 Nichtzahlung der Folgeprämie (§ 38 VVG)
Bei Nichtzahlung der Folgeprämie soll dem VN der einmal entstandene Versicherungsschutz möglichst erhalten bleiben. Deshalb verliert der VN den Versicherungsschutz bei Nichtzahlung der Folgeprämie nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Abgesehen davon, dass die Folgeprämie fällig sein muss, ist eine qualifizierte Mahnung seitens des VR erforderlich.
Diese Mahnung muss eine Nachfrist enthalten, bis zu deren Ablauf die Prämie gezahlt werden kann, ohne dass für den VN Rechtsnachteile entstehen. Die Nachfrist muss mindestens zwei Wochen betragen. Des Weiteren muss die Mahnung eine Rechtsbelehrung des VN durch den VR enthalten; das bedeutet, der VN muss auf sämtliche Rechtsfolgen hingewiesen werden, die eintreten, wenn er die geschuldete Prämie nicht innerhalb der Nachfrist zahlt. Schließlich muss die Mahnung eine Konkretisierung der Prämienschuld enthalten, d. h., für den VN muss ersichtlich sein, dass es sich um eine rückständige Prämienschuld aus einem ganz bestimmten Versicherungsverhältnis handelt. Darüber hinaus müssen der geschuldete Betrag sowie Zinsen und Kosten angegeben werden.
Nach vergeblichem Fristablauf – die Zahlung erfolgt innerhalb der Nachfrist nicht – befindet sich der VN in Verzug. Als Rechtsfolge des Verzugs ergibt sich, dass der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei ist und das Versicherungsverhältnis kündigen kann. Die Kündigung des VR kann nach Fristablauf erfolgen (= isolierte Kündigung); sie kann aber auch bereits in Verbindung mit der qualifizierten Mahnung zum Fristablauf erfolgen (= verbundene Kündigung).
Eingangs wurde gesagt, dass bei Nichtzahlung der Folgeprämie dem VN der Versicherungsschutz möglichst erhalten werden soll. Diesem Wunsche dient neben dem eben geschilderten Verfahren eine weitere Regelung der (meisten) AVB – die bereits erwähnte erweiterte Einlösungsklausel:
Wenn nämlich der VN innerhalb eines Monats nach Wirksamwerden der Kündigung die Zahlung nachholt, fallen die Wirkungen der Kündigung fort und der VR bleibt leistungspflichtig. Das bedeutet für den VN, dass ab Zahlung der Vertrag wieder auflebt und wieder Versicherungsschutz besteht (Reaktivierung).
Sollte allerdings zwischen dem Beginn des Zahlungsverzugs (also nach mindestens 14 Tagen) und der nachgeholten Zahlung ein Versicherungsfall eingetreten sein, besteht hierfür (logisch nachvollziehbar) kein Versicherungsschutz.
Beispiel 5.2:
1.3. Fälligkeit der Jahresfolgeprämie in der Hausratversicherung
3.4. qualifizierte Mahnung des VR an VN mit Kündigung zum Ablauf der Mahnfrist (z. B. 20.4.) = verbundenes Mahn-/Kündigungsschreiben
25.4. grundsätzlich ersatzpflichtiger Schaden bei VN (Beitragszahlung noch nicht erfolgt)
6.5. Zahlung der angemahnten Jahresprämie durch VN
Rechtssituation:
Aufleben des Versicherungsvertrages und -schutzes durch Zahlung am 6.5. Kein Versicherungsschutz für den 25.4., da außerhalb der Zahlungsfrist (nach 20.4.).
Anhang:
- Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1: Die fünf Säulen der deutschen Sozialversicherung 7
Abb. 2.1: Kapitalanlagen der Versicherer im Vergleich (Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 14
- Sachwortverzeichnis
Allgemeine Versicherungsbedingungen /AVB 15
Bürgerliches Gesetzbuch/BGB 15
erweiterte Einlösungsklausel 31
Fristablauf 31
Laufzeit 16
Mahnung 30
Privatversicherung 6
Risikotransfer 13
Schadenversicherung[ 11
Selbstbehalt[ 29
strenges Einlösungsprinzip 23, 24
Summenversicherung 11
unverzügliche Zahlung 24
Versicherungsnehmer/VN 13
Versicherungsunternehmen, Versicherer/VR 13
Versicherungsvertragsgesetz/VVG 15